Montag, 14. Mai 2018

Özil- und Gündogan-Eklat: CSU und AfD erklären, was sie an Erdoğan stört


Treffen in London: Cenk Tosun, Ilkay Gündoğan, Mesut Özil und Recep Erdoğan (v.u.n.o) (Abbildung ähnlich)


London – Für große Aufregung sorgt aktuell ein Foto, auf dem sich die deutschen Fußballnationalspieler Mesut Özil (Arsenal London) und Ilkay Gündoğan (Manchester City) sowie der ebenso deutsch-türkische Fußballer Cenk Tosun (FC Everton) mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan ablichten ließen. Im Rahmen seiner London-Reise traf Erdoğan die Fußballer und erhielt von ihnen Trikots mit würdigenden Widmungen. Aufgrund Erdogans Politik sind in Deutschland nicht alle damit einverstanden, dass sich deutsche Nationalspieler sich so vor den politischen Karren spannen lassen. Insbesondere die CSU und die AfD ließen es sich nicht nehmen, dieses Ereignis deshalb vor ihren Karren spannen zu lassen. Warum eigentlich? Der Anzeiger interviewte Vertreter beider Parteien.


Zum Gespräch fanden sich der bayrische Unterinnensekretär Ludwig Schellengruber (59, CSU), Hans-Jörg Ramsperger (41), sportpolitischer Sprecher der AfD Nüsselsheim, und für den AnzeigerdurchdieGalaxis der AnhalterdurchdieGalaxis ein.

AnzeigerdurchdieGalaxis (AdG): Guten Abend, meine Herren.

Hans-Jörg Ramsperger (HR): Das ist anmaßend von Ihnen, mit Ihrem Hintergrund in unserem Land einen guten Abend zu wünschen. Dass dieser Abend gut ist, das haben sich Generationen von Deutschen hart erarbeitet, das haben Sie gar nicht zu wünschen.

So reagierte die AfD auf das Treffen von Özil, Gündo- und Erdoğan

Ludwig Schellengruber (LS): Ich bin ja immerhin beruhigt, dass es ein guter Abend ist, sind wir doch immer noch im christlichen Abendland. Ganz so schlecht ist hier ja alles auch nicht. Insofern finde ich einen „Guten Abend“ schon in Ordnung.

So reagierte die CSU auf das Treffen von Özil, Gündo- und Erdoğan
 
AdG: Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für das Interview genommen haben. Ihre Parteien haben das gemeinsame Foto von Özil und Gündoğan mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan besonders hart kritisiert. Was stört Sie daran?

LS: Nun, erstmal möchte ich sagen, dass aus meiner Sicht Fußball und Politik voneinander getrennt bleiben sollten. Fußball begeistert viele insbesondere junge Menschen und sollte deshalb nicht für politische Zwecke missbraucht werden. Das habe ich erst neulich mit Markus Söder (Bayrischer Alleinherrscher, Anm. D. Red.) besprochen, als wir im Stadion des FC Bayern zu Gast waren.

AdG: Herr Ramsperger…

HR: Nennen Sie mich einfach HJ.

AdG: Auf gar keinen Fall. Herr Ramsperger, was stört Sie an Erdoğan?

HR: Nun, wo soll man da anfangen? Es macht einfach Sorgen, wenn ein Politiker einfach nur Nationalismus schürt, um seine Macht zu untermauern. Die Türken hatten schon immer viel Nationalstolz – dagegen ist ja auch gar nichts einzuwenden. Aber was da momentan los ist, das ist einfach zu viel. Denn solche Gefühle können sehr schnell auch missbraucht werden. Überzogener Nationalismus führt auch dazu, dass man sich anderen Nationen gegenüber überlegen fühlt, dass man keine Rücksicht mehr nimmt und vor allem, dass man sich auch Minderheiten im eigenen Land gegenüber radikalisiert. Das darf eine wehrhafte Demokratie nicht zulassen.

LS: Minderheiten ist ein guter Punkt. Ich sehe da in der Türkei vor allem das Problem, wenn es um Religion geht. Dazu muss man sagen, dass die Türkei bis vor ein paar Jahren noch auf dem sehr erfreulichen Weg zu einem wirklich säkularen Land war. Die Trennung von Religion und Staat wurde sehr ernst genommen. Leider dreht Herr Erdoğan das Rad inzwischen wieder zurück und nutzt vielfach religiöse Symbole und Gefühle für seine Zwecke.

HR: Absolut widerlich!

LS: Ja, in der Tat. Dazu kommt noch die Nebenwirkung, dass „Andersgläubige“ wieder bewusst ausgegrenzt werden. Religionsfreiheit existiert auf dem Papier, trotzdem wird sehr deutlich gemacht, welche Religion zur Türkei gehört undwelche nicht.

AdG: Sie fürchten also um die Religionsfreiheit in der Türkei? Sehen Sie auch noch andere Grundrechte bedroht?

HR: Natürlich die Pressefreiheit. Die ständigen Attacken von Erdoğan gegen kritische Journalisten sind einfach nicht mehr zumutbar. Wer nicht das berichtet, was Erdoğan will, wird von Pressekonferenzen ausgeschlossen, bedroht oder schlimmeres. Zudem tut er einfach alles, was ihm nicht passt, als Lüge ab. So kann man in einem demokratischen Land nicht mit der Presse umgehen. Man muss auch aushalten, wenn kritisch über einen berichtet wird, oder vermeintlich Falsches mit Fakten widerlegen und nicht einfach als Lüge abtun.

LS: Man muss hier natürlich auch kritisch anmerken, dass die Befugnisse der Polizei unter Erdoğan deutlich ausgeweitet wurden. Da können nun unliebsame Leute auch mal ebenso ohne Gerichtsverfahren, ohne Anwalt und ohne konkrete Straftat weggesperrt werden. Das ganze nahezu unbegrenzt. Das ist nicht mehr an der Grenze zum Polizeistaat, das ist schon längst einer. Zum Wohle des Volkes ist das nicht.

AdG: Man muss natürlich anmerken, dass er in der Türkei eine große Mehrheit hinter sich hat.

LS: Ach ich bitte Sie! Mehrheit. Wenn eine Partei über so lange Zeit ständig solche Mehrheiten, sogar absolute Mehrheiten bekommt, dann stimmt da irgendwas nicht. Entweder, es liegt Betrug vor, oder aber, die Leute sind irgendwie ideologisch verblendet. In einem pluralistischen Land tun solche Wahlergebnisse zumindest auf Dauer nicht gut. Es gibt auf der anderen Seite ja auch viele Demonstrationen gegen ihn, aber egal, wie viele da kommen, das nimmt er gar nicht ernst. Auch das ist äußerst undemokratisch!

HR: Was noch gar nicht zur Sprache kam, das ist auch die Außenpolitik. Insbesondere im Syrien-Konflikt hat Herr Erdoğan Partei ergriffen für den nachweißlich völkermordenden Präsidenten Assad. Allein, dass er sich mit diesem Mann trifft, zeigt doch, wessen Geistes Kind er ist. Auch wenn man erwarten kann, dass seine Unterstützung für Assad nur Eigeninteressen dient. Aber das macht es ja nicht besser.

LS: Ja, da gehört aber Wladimir Putin auch dazu. Das ist ja eine Dreierallianz. Auch Putin ist ja mit diplomatischer Vorsicht zu genießen. Oder der ungarische Hardliner Orban… ich weiß nicht, wer zu all diesen Politikern derart enge Bündnisse beschäftigt, der sollte seine eigene demokratische Einstellung mal schwer hinterfragen.

AdG: Immerhin hat Erdoğan viele syrische Kriegsflüchtlinge aufgenommen.

HR: Ja, immerhin das ist ihm hoch anzurechnen. Auf der anderen Seite ist er knallhart gegenüber Kurden. Denen gibt er ja generell die Schuld an allem und wirft ihnen pauschal Terrorismus oder zumindest Unterstützung dessen vor. Selbst, wenn ein Anschlag ganz offensichtlich nicht von den Kurden kommt, so schafft er es, irgendwie einen Bezug zu ihnen herzustellen und sie als Sündenböcke heran zu ziehen. Auch sehr fraglich ist dabei der Umgang mit der eigenen Geschichte. Jedes größere Land der Welt hat seine dunklen Kapitel der Vergangenheit. Ändern kann man das nicht mehr. Jedoch, wie Herr Erdoğan es tut, einfach zu leugnen und abzustreiten, dass man in der Vergangenheit Massaker verursacht hat, das ist nicht der richtige Weg. Um Fehler nicht zu wiederholen, muss man sich ihrer erinnern.

AdG: Nun gut, fassen wir zusammen: Erdoğan…

LS: …ist ein Despot, der wenngleich demokratisch gewählt seine absolute Mehrheit schamlos ausnutzt, der religiöse Symbole zur Durchsetzung seiner Politik instrumentalisiert, der religiöse Minderheiten aktiv ausgrenzt, der Demonstrationen gegen sich ignoriert…

HR: … der nationalistische Gefühle weckt und benutzt, der sich mit ausländischen Despoten gut stellt, der eine Minderheit im eigenen Land pauschal als Sündenböcke und Terroristen hinstellt und die Presse ständig als Lügner diffamiert.

LS und HR: So einer hat in einer demokratischen Wertegemeinschaft nichts verloren! 

Das Interview führte: adg

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